
Seestern Carlos war die ganze Nacht hellwach. Er konnte einfach nicht schlafen. In dieser Sommernacht wollten seine Augen so gar nicht müde werden.
Er lag auf dem Grund einer kleinen, schönen Bucht. Das Wasser war flach und warm. Alle seine Freunde aus der Bucht schliefen bereits.
Nur ein paar Muscheln buddelten sich ab und zu in den weichen Sandboden hinein, bis sie ganz darin verschwanden. Dabei hinterließen sie eine aufgewühlte Wolke aus Sand im sonst so klaren Wasser.
Carlos blickte nach oben. Wenn es in der Bucht ganz ruhig war und sich keine Wellen über ihn hinweg bewegten, konnte er den Nachthimmel sehen. Ab und zu konnte er ganz kleine, helle Punkte am Himmel erkennen. Doch vom Meeresgrund war der Himmel viel zu weit entfernt.
„Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Sterne besser sehen zu können!“, dachte er sich. Carlos stellte sich die Schönheit des funkelnden Nachthimmels vor und grübelte die ganze Nacht weiter. Erst im Morgengrauen schlief er endlich ein.
Wasser spritzte in alle Richtungen, als Sally das junge Delfinmädchen freudig durch die Wellen sprang. „Nehmt euch in Acht!“, rief sie euphorisch. Von tosendem Applaus begleitet jagte sie durch die wilde Brandung des Ozeans.
Ein ganzer Fischschwarm hatte sich ihr angeschlossen. Zusammen lieferten sie den Zuschauern ein ordentliches Schauspiel. Am Ufer der Bucht saß neben einigen Schaulustigen auch eine alte Meeresschildkröte.

Sie reckte ihren langen Hals weit aus dem Panzer heraus und versuchte ein paar wärmende Sonnenstrahlen einzufangen. Sie musste sich von der kräftezehrenden Reise erholen.
„Die Energie des Delfinmädchens hätte ich auch gern“, dachte sie sich etwas wehmütig. Gedankenversunken betrachtete die Schildkröte dabei ihr eigenes Spiegelbild.
Gerade als sie sich genauer betrachten wollte, entdeckte sie plötzlich unter der Wasseroberfläche einen roten, kleinen Seestern. Er schien gerade vom sandigen Meeresboden Richtung Oberfläche abzuheben.
Neugierig kam die Schildkröte etwas näher und streckte dem kleinen Seestern ihren Hals entgegen. „Du bist ja ein richtig schöner Farbtupfer“, begrüßte sie ihn freundlich. „Was macht ein Seestern denn hier oben? Du solltest lieber schnell abtauchen, sonst entdecken dich gleich die Möwen und du landest auf ihrem Frühstücksteller.“
Etwas belustigt und froh von ihren eigenen Grübeleien abgelenkt zu sein, betrachtete die Schildkröte den kleinen Seestern dabei, wie er ganz vorsichtig versuchte, direkt auf der Wasseroberfläche zu gleiten. „Was soll das denn eigentlich werden?“ fragte die Schildkröte verdutzt.
„Ich trainiere das Auf- und Abtauchen, damit ich nachts den Sternenhimmel besser sehen kann. Von unten aus betrachtet ist alles viel zu unscharf“, erklärte Carlos. Die alte Schildkröte nickte zustimmend.
Carlos berichtete ihr davon, dass er nachts oft nicht schlafen konnte. Dann versuchte er, die hellen Punkte am dunklen Himmel zu sehen. „Zu gern würde ich hier unten im Wasser auch so einen funkelnden Anblick haben“, sagte Carlos traurig.
Doch die alte Schildkröte hatte leider keine Idee, wie sie Carlos helfen könnte. Sie schlug ihm jedoch vor, auf ihn aufzupassen, solange er seine Übungen machte. „Mit mir wird sich wohl keine Möwe anlegen!“, sagte sie und reckte dabei ihren Hals in Richtung Himmel.
Auch Sally, das Delfinmädchen, kam vorbei und hörte von Carlos‘ besonderem Wunsch. „Ach Carlos, finde dich doch einfach damit ab“, sagte sie etwas gleichgültig. „Du bist eben im Meer geboren und nicht an Land. Unten im Meer gibt es nun mal keinen Sternenhimmel.“
Am Abend verabschiedete sich die Schildkröte wieder und Carlos legte sich zurück in den weichen sandigen Boden der Bucht. Doch plötzlich wurde er auf etwas Helles, Glänzendes aufmerksam. Es war ganz in seiner Nähe.
Als er näher kam, konnte er erkennen, dass eine Muschelschale diesen schönen Glanz verursachte. Das Perlmutt im Inneren der Muschel wurde vom hellen Mondschein angestrahlt. Nun kam Carlos auf eine Idee.
„Ich mache mir hier unten einfach meinen eigenen Sternenhimmel.“ Voller Elan war Carlos nun jeden Tag damit beschäftigt, Muschelschalen, glitzernde Steine und geschliffene Glasscherben zu sammeln und sie dann auf dem Grund der Bucht zu verteilen.
Währenddessen braute sich am Himmel etwas zusammen. Eine dicke Wolkendecke schien die Sterne und den Mond wochenlang unter Verschluss zu halten. In der Bucht war es nun dunkler als je zuvor.
Die anderen Meerestiere schüttelten nur den Kopf, als sie Carlos bei der Arbeit zusahen. Sie raunten im Vorbeischwimmen: „Was für eine Zeitverschwendung! Was hat er sich da nur in den Kopf gesetzt? Das kann ja gar nicht klappen.“
Und tatsächlich: Es tat sich nichts. Die Bucht blieb Tag für Tag dunkel und Carlos war enttäuscht. Sein Plan schien nicht zu funktionieren. „Die ganze Mühe war umsonst“, flüsterte er niedergeschlagen.
Traurig vergrub er sich in den Sand. Dabei passierte in dieser Nacht etwas ganz Wunderbares. Die alte Schildkröte saß am Ufer und beobachtete, wie sich die letzte Wolke am Mond vorbeischob. „Er hat es also doch geschafft,“ sagte sie begeistert und beobachtete, wie die Bucht plötzlich begann, in den schönsten Facetten zu funkeln.
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