
Es war einer dieser Sommertage, an denen selbst die Gänseblümchen keine Lust mehr hatten, freundlich auszusehen. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte gnadenlos auf den Deich hinab. Kein Lüftchen wehte, nicht einmal ein winziger Windstoß ließ sich blicken.
Tilda lag mit ausgestreckten Beinen im Schatten eines Zaunpfahls, der ihr allerdings nur genug Schatten für die Schnauze spendete. „Das ist doch kein Zustand“, murmelte sie und leckte sich über die trockene Nase.
Mariella, das schönste Schaf der Herde, lag ein paar Meter weiter und stöhnte: „Ich hab Hitzestreifen im Fell. Wenn das so weitergeht, schwitze ich noch mehr und sehe aus wie ein nasser Teppich.“
Da geschah es. Tilda schloss für einen kurzen Moment die Augen und nickte ein. In ihrem Traum lag sie in einem Schwimmbecken, das mitten auf dem Deich stand. Es war gefüllt mit kühlem Wasser, in dem Gänseblümchen schwammen. Um sie herum plantschten lauter fröhliche Schafe, alle trugen Sonnenhüte und tranken Wasser mit Strohhalm.
Sie schreckte hoch. „Ich hab’s! Wir bauen uns ein Schwimmbecken!“
Die anderen Schafe blickten sie entgeistert an. Sabine, das älteste Schaf der Herde, hob die Augenbraue. „Ein Schwimmbecken? Auf dem Deich? Wie soll das denn gehen?“
Doch Tilda war bereits unterwegs. Sie erinnerte sich an eine große, blaue Plane, die hinter dem Schuppen des Bauern lag. Niemand benutzte sie – außer vielleicht der Wind, der manchmal damit spielte. Tilda zerrte, schob und schleppte sie bis zum höchsten Punkt der Wiese.

Elmar, Tildas großer Bruder, stampfte mit den Vorderhufen eine Mulde in den Boden. „Gras raus, Wasser rein!“, verkündete er zufrieden. Mariella band sich eine Gänseblümchenkette ins Haar und kündigte an, das Schwimmbecken stilvoll zu dekorieren. Sabine stellte sich oben an den Feldweg und hielt Wache, damit niemand das Schaf-Projekt störte.
Als die Mulde fertig war und die Plane drin lag, kam die große Frage: „Wie bekommen wir jetzt Wasser da rein?“, fragte Elmar.
„Wir nehmen einfach den Gartenschlauch aus dem alten Schuppen!“, rief Tilda. Doch der Schlauch war zu kurz.
„Dann machen wir eben eine Eimerkette!“, rief Elmar. Und schon geschah es: Alte Gummistiefel, Kochtöpfe, Gießkannen, halbvolle Eimer und sogar eine ausrangierte Futterschale wurden zum Wasserschöpfen genutzt. Die Schafe bildeten eine wackelige Reihe von der Regentonne bis zum Schwimmbecken.
Wasser wurde weitergegeben, über Hufe gegossen, ausgeschüttet, verloren, verschüttet und hin und wieder aus Versehen getrunken. Sabine hatte mittlerweile einen nassen Rücken, Mariella quietschte, weil ihre Frisur tropfte, und Tilda stand mit triefender Wolle mitten in der Plane und jauchzte: „Gleich ist es soweit!“
Nach unzähligen Durchgängen war das Becken endlich halb voll – und für Tilda war das mehr als genug. Mit einem beherzten Satz sprang sie hinein. Wasser spritzte in alle Richtungen. Mariella jaulte, Sabine erschrak, Elmar lachte laut los.
„Jetzt ist es ein richtiges Schwimmbecken!“, rief Tilda zufrieden.
Nach und nach wagten sich alle hinein. Das Wasser war lauwarm, aber wunderbar. Es wurde geplanscht, getobt und sogar ein bisschen gesungen. Mariella versuchte, rückwärts zu schwimmen – vergeblich. Sabine rutschte auf einem nassen Stein aus, landete aber weich in der Mitte des Beckens und lachte zum ersten Mal seit Tagen.
Gerade als alle Schafe völlig durchnässt und glücklich im Wasser trieben, hörte man das Motorengeräusch des Bauern. Tilda horchte auf. „Die Regentonne!“ flüsterte sie. „Die ist leer. Und die Plane…“
Der Traktor hielt. Der Bauer stieg aus und blieb wie angewurzelt stehen. Vor ihm eine halbnasse Herde, ein improvisiertes Schwimmbecken, verstreute Eimer und Gummistiefel überall.
Er kratzte sich am Kopf. „Ich glaub, ich brauch eine neue Brille… oder weniger Sonne.“
Tilda trat vorsichtig aus dem Becken, triefend nass, und stellte sich vor den Bauern. Sie versuchte, besonders ordentlich auszusehen. Das Wasser tropfte in dicken Tropfen von ihrer Stirn.
„Also, das war alles meine Idee“, begann sie gerade, doch der Bauer winkte ab und lachte. „Wenn ihr schon ein Schwimmbecken baut, dann soll wenigstens richtig Wasser hinein!“
Er holte den längsten Schlauch vom Hof, spannte ihn bis zur Mulde und drehte den Hahn auf. Ein leiser Jubel ging durch die Herde.
Am Abend lagen alle Schafe zufrieden auf dem warmen Boden. Die Sonne war rot und rund und schickte die letzten Strahlen über die Wiese.
Tilda sah hinauf in den Himmel und murmelte: „Manchmal braucht es nur eine Plane, ein bisschen Mut – und ganz viel Wasser.“
„Und einen guten Bauern!“, fügte Sabine hinzu.
„Und Gänseblümchendeko!“, rief Mariella und strich sich eine nasse Locke aus dem Gesicht.
Alle lachten. Der Sommer durfte ruhig noch ein bisschen bleiben.
Weitere Gute-Nacht-Geschichten:
Weitere interessante Artikel: