
Der erste Schnee des Jahres fiel sanft zu Boden und bedeckte die Äste der Bäume mit einer feinen Schicht, die wie feinster Puderzucker aussah.
Dackel Walter lag auf seinem Kissen vor dem Kamin und genoss sichtlich die Wärme des knisternden Feuers. Aus dem Augenwinkel sah er sein Frauchen unter einer dicken Wolldecke sitzen.
Sie war seit einigen Tagen damit beschäftigt, mit etlichen Nadeln und bunten Wollknäueln einen Schal zu stricken. Walter grübelte bei dem beruhigenden Geräusch der klappernden Stricknadeln über einige seiner noch ungelösten Fälle.
Dabei schweiften seine Gedanken immer wieder zu den köstlichen Gerüchen ab, die er voller Vorfreude mit der Adventszeit in Verbindung brachte: geschälte Mandarinen, Kekse, köstlicher Weihnachtspunsch und natürlich geräucherte Würstchen.
„Das ist die schönste Jahreszeit“, hörte sich Walter selbst sagen und vernahm dabei einen kurzen Blick vom Sessel herüber. Scheinbar hatte er lauter gebellt, als er gedacht hatte.

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Walter war kurz davor einzuschlafen, als es plötzlich an der Tür klingelte. „Nanu, wer klingelt denn um diese Uhrzeit?“, hörte er sein Frauchen fragen.
Natürlich war Dackel Walter als erster an der Haustür und wartete neugierig darauf, durch den geöffneten Türschlitz hinausschauen zu können. Oft erkannte er schon von weitem, wer der Besucher sein würde. Schließlich war Walters Nase fein und sehr geübt.
Doch diesmal hatte er keinerlei Vermutungen. Gespannt schaute er durch die nun geöffnete Haustür und sah verdutzt in unzählige strahlende Kinderaugen.
Sie hatten sich vor der Haustür aufgestellt und schauten dabei neugierig zu dem Dackel und dann wieder in ihre Gesangsbücher. Unaufgefordert begannen sie schöne Weihnachtslieder zu singen. Walter beobachtete dabei aufmerksam, wie die Schneeflocken scheinbar im Takt durch die Luft schwebten, um sich dann auf den Mützen, Nasen oder Blockflöten der Kinder niederzulassen.
Als sich die Kinder wieder verabschiedeten und zum nächsten Haus in der Nachbarschaft weiterzogen, kuschelte er sich wieder auf sein gemütliches Plätzchen. Doch keine fünf Minuten später klingelte es erneut an der Tür.
„Das gibts doch nicht“, rief nun Walters Herrchen die Treppe hinunter. „Wer klingelt denn hier heute den ganzen Tag?“
Natürlich stand auch dieses mal Walter als erster an der Tür. Doch auch ohne sie zu öffnen wusste er diesmal, wer dort stehen würde. Er bellte fröhlich und wedelte dabei mit dem Schwanz.
Natürlich konnte Walter seiner Familie nicht mitteilen, wer sich vor der Tür befand und dennoch freute er sich über die Besucherin. Als die Tür geöffnet wurde, stand die Nachbarin, Frau Wiesenthal, in einem dicken, warmen Mantel vor ihnen. In der Hand hielt sie einen Stapel mit schönen, selbst gebastelten Karten.
„Verzeihen Sie die späte Störung“, hörte Walter seine Nachbarin sagen. „Ich habe es vorher einfach nicht geschafft die Einladungen zu verteilen. Dieses Jahr habe ich mich mit dem Basteln etwas schwerer getan. Ich möchte Sie drei herzlich zu meiner alljährlichen Adventsfeier einladen.“
Dabei bückte sich Frau Wiesenthal zu Walter hinunter und tätschelte ihm bestätigend den Kopf. „Natürlich gibt es neben meinem berühmten Hefekranz auch ein paar leckere Würstchen für dich!“ Mit einem herzlichen Augenzwinkern stellte sie sich wieder aufrecht hin und zupfte ihren Mantel zurecht.
„Nun denn. Ich hoffe wir sehen uns am Sonntagnachmittag.“ Während sich die beiden Frauen noch ein wenig unterhielten, machte es sich Walter wieder in seinem Korb unter der Treppe bequem.
Er erinnerte sich an die letzten Adventsfeiern bei seiner Nachbarin und dachte daran, wie sehr alle Gäste ihren Hefekranz liebten. Er selbst hatte noch nie davon probiert, aber der Duft allein war schon verführerisch genug. Bei den Gedanken an die bevorstehenden Köstlichkeiten fielen Walter die Augen zu.
Am nächsten Tag war es endlich soweit. Der Advent stand vor der Tür und Walter spazierte durch das verschneite Dorf. Er sah den Bewohnern zu, wie sie ihre Hecken in den Gärten vom Schnee befreiten, um hübsche Lichterketten daran zu befestigen.
Aus dem ein oder anderen geöffneten Fenster strömte der Duft von Rotkohl und Braten. Walter lief das Wasser im Mund zusammen. Als er wieder zu Hause ankam, konnte er einen Blick durch das Küchenfenster seiner Nachbarin werfen.
Walter konnte erkennen, dass sie gerade dabei war, ihren berühmten Hefekranz aus dem Ofen zu holen. Er sah dabei zu, wie sie ihn behutsam und mit dicken Handschuhen ans Küchenfenster legte und dabei nach jemandem rief.
„Aha“, dachte sich Walter. „Scheinbar hat Frau Wiesenthal heute schon Besuch.“ Er hörte plötzlich Kinderstimmen und sah einen blonden Haarschopf am Fenster stehen. Walter konnte den Hefekranz nun nicht mehr sehen und beschloss, es sich jetzt auf dem Sessel gemütlich zu machen.
Sein Herrchen war gerade damit beschäftigt, neues Holz für den Kamin hereinzutragen und fein säuberlich zu stapeln. „Ein kleines Nickerchen zwischendurch kann vor der großen Feier bestimmt nicht schaden“, beschloss der Dackel und schlief unbekümmert ein.
Plötzlich machte sich Aufregung breit. Ein hektisches Treiben begann. Es waren bereits alle Gäste bei Frau Wiesenthal angekommen. Begrüßt wurden sie von schöner, weihnachtlicher Klaviermusik. „Darf ich vorstellen: Das ist meine Enkelin, Rosa“, sagte Frau Wiesenthal stolz und blickte dabei Richtung Klavier.
Die Gäste machten es sich auf den Sesseln und Stühlen bequem oder stellten sich in kleinen Grüppchen an den warmen Ofen im Wohnzimmer. Es wurde Punsch und Tee verteilt und alle warteten sehnsüchtig auf die Eröffnung des Buffets und das traditionelle Anschneiden des Hefekranzes.
Walter bahnte sich seinen Weg durch die Menge und hielt dabei Ausschau nach der Katze von Frau Wiesenthal. Da hörte er plötzlich ein Poltern und Rascheln und kurz darauf einen spitzen Schrei.
Nun war Kommissar Walter gefragt. Er machte sich sofort auf den Weg zur Küche, aus der er die Geräusche vernommen hatte. Er steckte seinen Kopf durch den Türspalt und sah eine aufgeschreckte Frau Wiesenthal hektisch durch den kleinen Raum laufen.
Sie durchsuchte die gesamte Küche, lief von einem Schrank zum anderen und schaute in jede Kiste und und jede Schachtel. Da kam plötzlich die kleine, klavierspielende Enkelin vorbei und entdeckte Walter.
„Psschh“, gab sie ihm zu verstehen und gestikulierte in Walters Richtung. Sie sah ihn an und sagte: „Omas Hefekranz ist verschwunden. Vielleicht wurde er ja gestohlen? Damit wäre das ganze Fest verdorben. Nicht auszudenken, wie traurig meine Großmutter und die Gäste wären.“
Walter wurde plötzlich ganz warm unter seinem Fell. „Wer könnte unter diesen freundlichen Nachbarn denn bloß einen Hefekranz stehlen und seine Nachbarin damit in so eine unangenehme Situation bringen?“
In seinem Kopf begann es zu rattern. Walter überlegte, welcher der eingeladenen Gäste ein Motiv haben könnte. Dabei ging er in Gedanken noch einmal sorgsam die Gäste durch, die er in der Küche gesehen hatte.
Dabei fiel ihm auf, dass der angereiste Besuch von Frau Wiesenthal die ganze Zeit über in der Küche war. Angeblich wollten sie Frau Wiesenthal beim Geschirrwaschen helfen.
Auch die beste Freundin aus dem Kirchenchor hatte Frau Wiesenthal bei den Vorbereitungen geholfen. Sie flitzte immer wieder eilig vom Wohnzimmer zur Küche. In dieser Zeit war der Hefekranz scheinbar unbeaufsichtigt gewesen.
„Bloß keine voreiligen Schlüsse ziehen,“ ermahnte sich Walter und versuchte, die Hefekranz-Fährte mit seiner feinen Nase zu folgen.
„Ich werde ihn schon finden und den Dieb ebenfalls!“ Walter bahnte sich seinen Weg durch die zahlreichen Gäste und kam dem Duft immer näher.
An den Treppenstufen zum Keller von Frau Wiesenthal angekommen, spürte er plötzlich eine Hand auf seinem Kopf. Aufgeregt bellte Walter und schüttelte sich dabei. „Lass mich in Ruhe du Dieb! Du kannst mich nicht aufhalten!“
Plötzlich hörte Walter die beruhigende Stimme seines Herrchens, der ihn behutsam an den Ohren kraulte. „Was ist denn los Walter? Du musst ja etwas ganz aufregendes geträumt haben. Wir müssen jetzt langsam los. Die Adventsfeier von Frau Wiesenthal beginnt gleich und ich kann es kaum erwarten, den saftigen Hefekranz zu probieren.“
Verwirrt öffnete Walter seine Augen. Er hatte alles nur geträumt. Der Hefekranz war gar nicht verschwunden und in Kürze würden alle einen wunderbaren Nachmittag genießen.
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Sehr tolle Geschichte, meine Freundin schläft jedes Mal bei euren Geschichten ein. Vielen Dank!!