
Emma saß am Küchentisch. Sie bastelte gerade mit ihrem kleinen Bruder an einem Geschenk für ihre beste Freundin Hanna aus dem Kindergarten. Ein kleiner Elefant aus Pappmaché sollte es werden.
Dafür beklebte sie einen aufgeblasenen Luftballon mit nassem Zeitungspapier. „Eine ganz schöne Kleckerei“, hörte Sie Mama aus dem Wohnzimmer murmeln. „Aber anders geht es ja nicht!“, erwiderte Emma, die Mama ganz genau gehört hatte.
Sie hatte den Elefanten und die dazugehörige Bastelanleitung in einem ihrer liebsten Bastelbücher entdeckt und kurz darauf beschlossen, diesen Elefanten für Hanna zum Geburtstag zu basteln.
Ihr kleiner Bruder Tim war noch etwas zu ungeschickt, um richtig mithelfen zu können. Doch trotzdem manschte er mit seinen kleinen Händchen in dem matschigen Papierbrei herum und versuchte ebenfalls ehrgeizig den Elefanten zu bekleben.
Während die zwei fleißig bastelten, schaukelte Charlie gemütlich auf seiner Holzstange am Küchenfenster. Charlie war ein blauer Wellensittich, den Emma von ihrer Nachbarin geschenkt bekommen hatte. Ihre Nachbarin war schon zu alt, um sich weiterhin um Charlie zu kümmern.
„Bei dir ist er gut aufgehoben“, sagte sie damals zu Emma und wartete hoffnungsvoll auf das Einverständnis von Emmas Eltern. Als alle zustimmten war die Nachbarin erleichtert und Emma hatte endlich ihr langersehntes Haustier, das sie liebevoll umsorgen konnte.
„Der Elefant ist fast fertig! Guck mal, Mama!“, rief Emma fröhlich und rannte schnell ins Wohnzimmer. Auch der kleine Tim lief ihr freudig hinterher.
Im selben Moment flog ein bunter Schmetterling am Küchenfenster vorbei und drehte akrobatische Pirouetten. Charlie sah das bunte, elegante Wesen und sprang neugierig von seiner Schaukelstange empor. Dabei huschte er flink durch den offenen Fensterspalt und flog dem Schmetterling hinterher.
Der Schmetterling war allerdings so leicht und klein, dass Charlie mit seinen Flügelschlägen kaum hinterher kam. Hastig flog er von einem Häuserdach über das nächste.
„Charlie, Charlie, sieh mal der Elefant ist fertig!“, rief Emma stolz, als sie um die Ecke zur Küche lief. Dann sah sie die Holzstange im Fenster, die immer noch leicht vor sich hin schaukelte, doch ihr blauer Wellensittich saß nicht mehr darauf.
Sie drehte sich um ihre eigene Achse und suchte mit ihren Blicken die ganze Küche ab, bückte sich und krabbelte unter den Küchentisch. Sie schaute auf die Schränke und hinter die Tür. Doch Charlie war nirgends zu sehen. Sie blickte noch einmal zum Fenster und bemerkte erst jetzt, dass es einen Spalt geöffnet war.
„MAAAAAAAAAAMAAAAAA!“, rief Emma und rannte wieder zurück ins Wohnzimmer. Schluchzend erklärte sie, dass Charlie verschwunden war und, dass das Fenster geöffnet ist. Im Nu teilten sich alle auf und durchsuchten das ganze Haus.
Papa hatte ebenfalls von Charlies Verschwinden erfahren und hielt im Garten Ausschau. „Ich werde jetzt zur Straße gehen und nachsehen, ob Charlie in einem der Bäume sitzt“, sagte er.
Gemeinsam mit Tim machte er sich auf den Weg und suchte Baum für Baum ab. Doch nirgends war der blaue Wellensittich zu sehen. Es wurde Abend und die Suche konnte nur noch mit Taschenlampe fortgeführt werden. Da Charlie ganz sicher nicht im Haus war, hatten nun auch Mama und Emma die Suche an der Straße aufgenommen.
„Für heute müssen wir die Suche aufgeben, Emma. Es ist schon viel zu dunkel und Charlie wird sich ganz bestimmt einen sicheren und bequemen Platz in einem der Bäume gesucht haben. Wir machen morgen früh weiter. Und heute Nacht überlegen wir uns, wie wir noch mehr Hilfe bei der Suche bekommen können.“
Und obwohl ihr überhaupt nicht nach Schlafen zumute war, wurde Emma von der anstrengenden Suche im Dunkeln ziemlich müde. Der kleine Tim schlief bereits tief und fest und schnarchte dabei ein klein wenig vor sich hin.
Wenige Minuten später schlief auch Emma ein und träumte von Charlie. Wie er über die Stadt flog und sein zu Hause suchte. Dabei kamen ihm alle Häuser gleich vor und die Straßen sahen auch viel zu ähnlich aus. Emma schreckte mitten in der Nacht auf und hatte eine Idee.
„Ich muss alle Nachbarn im Stadtteil über Charlies Verschwinden informieren. Dann können alle ihren Garten beobachten und die Baumkronen an der Straße absuchen. Vielleicht finden sie Charlie und können ihn zu mir zurück bringen. Immerhin ist er ganz blau und gut zu erkennen.“
Sie knipste ihre Nachttischlampe an und begann damit, Charlie auf ein weißes Blatt Papier zu malen. Am nächsten morgen flitze Emma die Treppe hinunter und zeigte ihren Eltern den selbst gemalten Charlie.
„Das ist eine tolle Idee, Emma! Ich nehme mir heute frei und dann werden wir den ganzen Tag nichts anderes machen, als das Bild von Charlie an Bäume und Zäune, Türen und Hecken in der Nachbarschaft zu befestigen und Charlie weiterhin zu suchen“, sagte Papa.
Emma war erleichtert. Nach dem Frühstück legte Papa das selbst gemalte Bild in den Scanner und verfasste einen kleinen Text dazu. Darin war beschrieben, wie Charlie aussieht und wo er wohnt. Als Finderlohn wollte Emma einen selbst gebackenen Schokoladenkuchen und ihr ganzes Taschengeld aus diesem Monat anbieten.
Im Nu machten sich die zwei auf den Weg und befestigten eilig unzählige Zettel. Immer wieder begegneten ihnen hilfsbereite Nachbarn, denen sie von Charlie erzählten.
Am Nachmittag waren alle Zettel verteilt und Mama und Papa waren der Meinung, dass jetzt nur noch abgewartet werden konnte. Auch Emma war so erschöpft, dass sie sich aufs Sofa plumpsen lies und eine heiße Schokolade gebrauchen konnte.
Tag um Tag verging und bisher hatten sich zwar viele Nachbarn gemeldet und Hilfe angeboten, doch Charlie blieb weiterhin spurlos verschwunden. Emma war froh, dass sie im Kindergarten etwas Ablenkung hatte und auch der langersehnte Geburtstag von Hanna etwas Abwechslung von den Sorgen um Charlie mit sich brachte.
Da Ostern kurz vor der Tür stand, war es an der Zeit die Fenster zu putzen, fand Emmas Mama. Dafür räumte sie die Fensterbänke leer und sperrte die Fenster weit auf. Gewissenhaft polierte sie die Glasscheiben und mittlerweile blitzte die Sonne durch die sauberen Fenster.
„Ich muss das Wasser im Eimer austauschen“, rief sie Tim und Emma zu, die es sich im Nebenzimmer gemütlich gemacht hatten. Mama ging ins Badezimmer und machte den Wasserhahn in der Badewanne an. Als sie wieder zurück in die Küche ging, hörte sie fröhliches Vogelgezwitscher und dachte sich: „Endlich ist der Frühling da.“
Als sie sich aufrichtete, um den Eimer auf den Küchentisch abzustellen, traute sie ihren Augen nicht. Es war ein blauer Wellensittich, der auf der Schaukelstange im Küchenfenster wippte und fröhlich vor sich hin sang.
„Emma!“, rief Mama energisch und schloss dabei vorsichtig das Fenster. „Sieh nur, wer da ist!“ Emma und der kleine Tim kamen in die Küche gelaufen und konnten es kaum glauben. Ihr Charlie war zurück! Und so wie es aussah, ging es ihm gut!
„Ich werde dich nie wieder aus den Augen lassen!“, sagte Emma zu Charlie und strahlte bis über beide Ohren.
Weitere Geschichten:
Weitere interessante Artikel:
Meine Freundin ist extrem schnell eingeschlafen und freut sich jedes Mal, wenn ich ihr eine von euren Geschichten vorlese.
Leise muss ich sie immer bis zum Ende lesen, da mich die Handlung extrem packt und ich immer wissen will, wie es ausgeht!
Super schöne Geschichte. Vielen Dank für tollen Texte! Mein Sohn Henri und ich lesen jeden Abend eine Geschichte vor der Schlafen gehen. Es macht richtig Spaß! Danke!
Wie immer eine tolle Geschichte !
Schöne Geschichte